Schwieriges Terrain

Henryk Broder schwingt mal wieder die Antisemitismus-Keule. Wenn er das tut, ist es oft berechtigt, meist amüsant zu lesen, aber manchmal lohnt es sich doch, den bullshit detector nicht völlig abzuschalten.

Als Antisemit geoutet wird diesmal ein gewisser Oliver Gehrs, Medienjournalist und unter dem nom de plume “Dr. med.” Autor des Medium-Magazins. Dieser hatte wohl – in einem Artikel der aktuellen Ausgabe des besagten Magazins – auf die jüdische Abstammung des Tycoons Haim Saban hingewiesen und irgendwie unterstellt, Saban habe die ProSiebenSat1Media AG möglicherweise deshalb an den Axel Springer Konzern verkaufen wollen, weil dieser sich in seinen Statuten als israelfreundlich definiert.

Ob dies tatsächlich zu der Entscheidung Sabans beigetragen hat, sei einmal dahingestellt. Ich frage mich nur gerade: Wäre es denn so schlimm, wenn es sich so verhielte? Wenn ich ein jüdischer Unternehmer wäre, der mit deutschen Partnern ein größeres Geschäft plant – dürften mich solche Überlegungen bei meiner Entscheidung nicht beeinflussen? Broder selbst unterstellt Saban, nur leicht ironisch gebrochen, ein ganz anderes, viel profaneres Motiv: “Weil Saban Kasse machen will.”

Umso mehr erstaunt es einen dann, wenn Broder aus Gehrs’ unbefangener These von den unterschwellig politischen Motiven des Mediendeals die folgende Schlussfolgerung ableitet:

    ‘Gehrs hat aber nur den Juden im Auge. Er verteilt sozusagen virtuelle gelbe Sterne an Leute, die sich anmaßen, etwas zu tun, was nach Gehrs Ansicht nur Nichtjuden tun dürfen: Kaufen und verkaufen und dabei Gewinne machen. Dass es ein “schaffendes” (arisches) und ein “raffendes” (jüdisches) Kapital gibt, dass Geld gut und schlecht sein kann, je nachdem wer es hat, das haben schon die Nazis gepredigt. Und jetzt kommt Dr. med. Oliver Gehrs und sorgt auf seine Art für Kontinuität.”

Wo auch immer Broder das her haben mag, aus dem von ihm zuvor referierten und zitierten Material des Gehrs-Artikels sind diese Überlegungen kaum zu rechtfertigen. Der Gebrauch der Anführungszeichen bei “schaffendes” und “raffendes” suggeriert zudem, dass es sich hier wie bei den zuvor von Broder in Anführungszeichen zitierten Passagen um O-Töne aus dem Gehrs’schen Artikel handelt.

Dass Gehrs mit dem jüdischen ‘Lokalkolorit’ seiner Geschichte nicht besonders geschickt umgeht, wird aus den von Broder zitierten Passagen schon deutlich. Aber hat er damit diese weit reichende Identifikation mit nationalsozialistischem Gedankengut verdient?

Wenn man Google bemüht, um mehr über den gegeißelten Autor zu erfahren, ergibt sich folgende, nicht uninteressante Seitenlinie: Oliver Gehrs, so erfahren wir sehr schnell, ist nicht nur ein ehemaliger SPIEGEL-Redakteur, er hat außerdem vor kurzem eine ziemlich kritische Biographie über den SPIEGEL-Chefredakteur und langjährigen Broder-Spezi Stefan Aust verfasst. In einer Rezension dieses Buches im Deutschlandfunk hieß es noch vor wenigen Wochen:

    ‘Gehrs Buch ist eine flüssig geschriebene Fleißarbeit auf schwierigem Terrain. Denn bei deutschen Chefredakteuren endet die Pressefreiheit meist. Sie wachen über ihr gemeinsames Wohl, wie das sonst wohl nur Chefärzte können. Genüsslich beschreibt Autor Gehrs im Vorwort, wie sich, als er in Sachen Aust zu recherchieren begann, Büroleiter Steingart nach seinen Plänen erkundigte und dann, nach einer dramatischen Kunstpause, den Rat fallen ließ: “Ich würde es nicht machen.” – “Es war”, notiert Gehrs amüsiert, “ein bisschen wie in dem Film Der Pate.”‘

DISCLAIMER: Ich geben zu, bei diesem Eintrag handelt es sich um einen blogtypischen Schnellschuss. Das heißt: Ich hatte bislang keine Gelegenheit, den Gehrs-Artikel im Medium Magazin selbst zu lesen. Ich werde das nachholen, und sollte sich dabei herausstellen, dass Gehrs die Broderschen Unterstellungen ‘vollumfänglich’ verdient hat, an dieser Stelle Abbitte leisten.

7 Comments

  1. Mit Broder ist das echt so eine Sache. Er schwankt stets zwischen Genie und Wahnsinn; gut geschrieben sind die meisten seiner Artikel. Ich glaube, er sieht sich auf einer immerwährenden Mission gegen Anti-Amerikanismus und Antisemetismus. Wie Sie schreiben oft berechtigt, aber zuweilen über das Ziel hinaus. Andererseits erfüllen ja auch Zuspitzungen und Übertreibungen immer einen Zweck, und sei es nur fürs Amusement.

  2. Klar. Ich erinnere mich gut daran, wie wir bei Qantara.de, einem Kulturdialog-Projekt par excellence, uns gegenseitig eine Polemik von Broder über die Albernheiten des verordneten Kulturdialogs laut und mit großem Vergnügen vorgelesen haben.

    Aber diese Geschichte hier ist einfach unschön, in meinen Augen. Und nicht nur, weil er mit seiner Polemik über’s Ziel hinausschießt. Sondern vor allem, weil er damit ganz offenkundig eine andere Agenda verfolgt.

  3. Die Feindschaft der beiden gründet wahrscheinlich darin, dass Gehrs bei Maischberger nicht eingeladen war und entsprechend reagiert hat. Ok, die verlinkte Gudrun Eussner ist 100% pro-Broder und entsprechend zu bewerten, dennoch ein interessanter Fakt, falls es denn so gewesen sein sollte. Interessant auch, dass es sich Broder und Gehrs leisten können, ihre Differenzen im Spiegel bzw. der FR auszutragen. Liegt wahrscheinlich am Sommerloch..

  4. Oh Gott, Frau Eussner. Ja.

    Aber das ist natürlich auch nichts weiter als eine ziemlich dämliche polemische Unterstellung mit dem “nicht eingeladen”, damit legt man dem mit deutschem Kulturgut groß gewordenen Kind im Leser gleich den ganzen Grimm’schen Märchenkosmos mit seinen Schreckgestalten zu Füßen. Andererseits ist der Artikel ja auch als Polemik angelegt, was soll man da erwarten. Wem’s gefällt.

    Und es ist ja nicht so, dass Gehrs und Broder ganz symmetrisch “ihre Differenzen in SPIEGEL und FR austragen”. Gehrs schreibt anlässlich der US-Wahl-Berichterstattung eine Medienkritik, nicht besonders freundlich, zugegeben, und ein Buch.

    Und Broder nutzt die erste Blöße, die sich Gehrs gibt, für einen kleinen Rachefeldzug, unter instinktiver Nutzung seiner Antisemitismus-kritischen Reflexe. So stellt sich das mir zumindest dar. Ist ja nicht so schlimm. Nur eben auch nicht besonders souverän, oder sympathisch.

    Gehrs wird’s überleben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Storz von der FR bei nächster Gelegenheit sagt: “Herr Gehrs, ich habe gehört, Sie sprechen den Juden das Recht ab, einfach und ohne Hintergedanken Geschäfte zu machen. Gehn Sie, suchen Sie sich einen anderen Auftraggeber!”

  5. Eventuell als Hintergrundinfo interessant: Die Aussagen von Gehrs erinnerten mich an Aussagen eines gewissen Ludwig Watzal, die dieser in seiner Radiosendung “Politisches Feuilleton” vom 16.09.2004 im Deutschlandradio gemacht hatte und die damals zu heftigen Protesten in Israel führten (über die aber die hiesigen Medien kaum berichteten). Die Inhalte der Sendung sind beim Deutschlandradio leider/ein Glück nicht mehr online abrufbar. Ein Artikel bei den Israelnetznachrichten informiert noch über den Vorfall.

    Watzal hatte behauptet, Haim Saban wolle einen inhaltlichen, pro-israelischen Einfluss auf ProSiebenSat.1 nehmen. Auch das Netz an direkten persönlichen Kontakten zu den Mächtigen der Welt (für einen international tätigen Geschäftsmann von Milliardärsformat wahrscheinlich nicht unüblich) sah Watzal hauptsächlich darin begründet, dass Saban die öffentliche Meinung manipulieren wolle. Auch Watzal bezog sich – wie Gehrs anscheinend auch – dabei vornehmlich auf ein harmloses Interview, das Haim Saban der New York Times gegeben hatte.

    In dem Interview berichtet Haim Saban auch, wie er von der geglückten Übernahme von ProSiebenSat.1 per Anruf auf seinem Handy zufällig beim Besichtigungs-Besuch des Konzentrationslagers Dachau erfuhr. Watzal legte in seiner Radiosendung damals nahe, diesen Anruf als “geschmacklos” zu bezeichnen. Und auch Gehrs betont dieses eigentlich völlig unwichtige Detail. Saban erwähnte es im Interview, um zu zeigen, dass Deutschland heute eben ein anderes Deutschland ist. Watzal jedoch legte Saban in seiner damaligen Radiosendung die Worte “Tätervolk” in den Mund (so als ob Saban die Deutschen als Tätervolk bezeichnet hätte).

    Bei aller möglichen langjährigen Rivalität zwischen Broder und Gehrs – ich vermute, dass Broder die Äußerungen von Gehrs als innerhalb einer gewissen verschwörungstheoretischen Tradition befindlich wahrgenommen hatte, die zum Beispiel auch in den Aussagen dieses Ludwig Watzal erkennbar war. Diese verschwörungstheoretische Tradition gibt es unbezweifelbar (Juden als geheime Weltbeherrscher usw.) und ist klar antisemitisch motiviert. Ob Gehrs tatsächlich mit seinen Äußerungen innerhalb dieser Tradition steht, kann natürlich diskutiert werden. Dass bei Broder Warnlichter aufflammten als er die Äußerungen von Gehrs las, kann ich – zum Beispiel vor dem Hintergrund ähnlicher (aber noch expliziterer) Äußerungen eines Ludwig Watzal – jedoch gut nachvollziehen und so vermute ich nicht nur vergangene persönliche Konflikte zwischen beiden als Grund für Broders Artikel.

  6. hallo prof. lorenz-meyer,

    mich hat der artikel von herrn broder auch sehr veraergert. ich sehe in seinen beitraegen immer wieder meinungsmachende, konservativ-populistische und beleidigende aeusserungen, die meines erachtens der befriedigung seiner persoenlichen streitlust dienen und zumeist nicht belegt sind.

    erstmals aufmerksam auf herrn broder wurde ich, als ich einen pro-bush-beitrag (ich muss es mal so platt ausdruecken, denn das trifft es) waehrend des u.s.-wahlkampfes auf spiegel-online lass. als ich einen leserkommentar abgeben wollte, gelangte ich versehentlich auf seine homepage und war erstmal sprachlos ob dem, was ich da sah.

    ein kindischeres jonglieren mit juedischen und antijuedischen klischees habe ich selten gesehen. mangels anderer inhalte, vermute ich, dass dies kein stilmittel, sondern selbstzweck ist – ganz offensichtlich kann man durch das bemuehen dieser klischees und eine gehoerige portion streitlust und egomanie eine menge aufmerksamkeit erzeugen. offenbar so viel, dass der spiegel es auch nicht fuer noetig erachtet, die artikel durchzulesen, bevor sie online genommen werden.

    dass beleidigungen wie “antisemit” – die offenbar aus einer persoenlichen feindschaft herruehren einfach so abgedruckt werden, finde ich bedenklich. als nach-nachkriegskind, das noch NIE in diesen rassenkategorien gedacht hat, finde ich diese beleidigungen beschaemend und ich bin mir sicher, dass der unangebrachte gebrauch dieses wortes von den meisten juden (die nicht von den verkaufszahlen ihrer publikationen leben) nicht fuer gut befunden wird.

    (und ja: mir ist bewusst, dass es durchaus antisemitismus in deutschland gibt! – aber nicht ueberall, wo das wort jude draufsteht ist auch immer automatisch antisemitismus drin!)

    bis bald,
    daniel

    p.s. ein sehr spassiger abend in hamburg! vielen dank fuer die tapas und die “taxi-fahrt” – ohne karte waeren wir wirklich aufgeschmissen gewesen 😉

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