Allons, enfants!

Katharina “Lyssa” Borchert macht jetzt WAZ Online, Peter “20 Millionen Redakteure” Schink geht zur Welt. Heiko Hebig ist schon geraume Zeit bei Burda unter Vertrag. Der Trend ist unübersehbar. Kein Fachmagazin lässt sich zur Zeit das Thema entgehen: In den nutzergenerierten Inhalten liegt nach Ansicht der Branche die Zukunft der Medien. Kann mal jemand aufstehen und den Herrschaften in den Verlagsetagen zurufen, dass auch dieser Kaiser nichts anhat?

Die Revolution, die zur Zeit im Internet vonstatten geht – wenn man es denn so nennen will – hat viel mit einer Ermächtigung der Nutzer zu tun. Soviel ist wahr. Diese Ermächtigung der Nutzer wird große Auswirkungen auf die Medien haben. Auch das stimmt.

Aber mit Bürgerjournalismus wird man die kommerzielle Online-Publizistik nicht auf die Füße bekommen. Es gibt eine lange Geschichte des Scheiterns solcher Projekte, von Howard Rheingolds Electric Minds im Jahr 1996 bis hin zu den zwar wohletablierten, aber letztlich irrelevanten Shortnews des Stern.

Videos von der Unfallstelle auf YouTube, Nacktphotos des Starlets vom Badesee bei Scoopt, ein paar mehr oder weniger schlaue Meinungen zum Weltgeschehen bei Opinio. Was so bei passender Gelegenheit zustandekommt, kann hier oder dort sogar von allgemeinem Interesse sein. Mit klugen Filtermechanismen wie bei Flickr bleiben die besten Dinge nicht länger verborgen. Auch das ist eine positive Entwicklung. Machen wir einmal die große Projektion: Stellen wir uns so die Zukunft unserer Medien vor?

Inhalte mit geringer Fallhöhe haben durchaus ihre Berechtigung, und sie finden auch ihr Publikum. Die Herausforderung an die professionellen Medienmacher sollte aber genau darin bestehen, sich von dieser Amateurpublizistik abzusetzen und interessante neue Formate zu entwickeln, die nur Profis hinbekommen: Formate, für die Qualifikation, Planung und Arbeitsteilung notwendig sind, und die genau deshalb begeistern, weil sie eben nicht vom Nachbarn stammen könnten.

Gerade in der Online-Publizistik haben wir im professionellen Bereich viel zu lange Stillstand erlebt. Vielleicht hat das sogar zu dem beispiellosen Aufbruch der Amateurpublizisten beigetragen. Angebote wie Spiegel Online haben sich seit Jahren im Kern kaum verändert. Jetzt drängen die Konkurrenten nach, mit frisch installierten Experten, die sie an den Rändern des Medienmarktes aufgesammelt haben. Das war bestimmt kein Fehler. Meine Prognose ist: Frau Borchert, Herr Schink, und wie sie alle heißen, sind klug genug, ihren Auftraggebern nicht genau das zu liefern, wofür sie eigentlich eingekauft worden sind. Vom Social Web gibt es viel zu lernen. Wer beim User Generated Content halt macht, hat nicht einmal die halbe Lektion begriffen.

5 Comments

  1. Der Artikel greift eine ganze Ecke zu kurz, denn die “professionellen Medienmacher” träumen immer noch vor sich hin. Wenn ich in einer unserer großen Tageszeitungen oder den Wochenzeitungen einen Artikel über meine Fachgebiete lese, möchte ich davonlaufen.
    Sehr oft, wenn nicht sogar überwiegend, sind die Artikel marktschreierisch aufgemacht und enthalten dabei so schwere Fehler, daß sich der Fachmann schüttelt.
    Nun beurteile ich die Qualität der Presse nach den Bereichen, die ich auf Grund meiner beruflichen Qualifikation wirklich einschätzen kann.Da schneiden auch renommierte Blätter beschämend ab.

  2. Hmm, ich hoffe ich habe nie behauptet, dass der Bürgerjournalismus der “kommerziellen Online-Publizistik” auf die Füße helfen soll. Vielleicht können die Readers-Edition-Schreiber ein wenig pieksen, weil sie die professionellen Journalisten zu mehr Qualität anstiften. Aber das ist schon eine utopische Annahme. Für mich ist Bürgerjournalismus eher eine sinnvolle Ergänzung der Online-Kommunikation. Aber keinesfalls sollen oder können so Journalisten ersetzt werden.

  3. Klar, kein Journalist würde sowas leichtfertig sagen. Aber es ist jetzt oftmals eine ausgesprochene oder unausgesprochene Hoffnung der Verlagsmenschen.

  4. Was ist ein Bürger? Jemand, der in einer Burg sitzt und nicht ‘rausschauen kann? Gibt es nicht mehr wirklich? Ja! So wenig wie Bürgerjournalismus. All das, was mit Blogs und Foren und Chat und was es noch alles gibt hat mit Journalismus nur wenig zu tun. Es gibt da ein paar Querverbindungen, das wars denn auch schon. Es entsteht, vor allem in den eher “schriftlich” geprägten Kulturen wie Frankreich etwas vollständig neues. Kein Format, kein Geschäftsmodell, sondern etwas “kulturell Neues”. Die Betreiber von Online-Diensten begreifen das nicht. Sie sollten nicht TEIL dieser Bewegung werden, sondern Dienstleister (durch journalistische erstellten Content, Ideen, Recherche, all das was zum Job gehört) und PROFESSIONELLER Berichterstattung AUS diesen Welten.
    Es gibt viele Schreibformen, Filmformen, Tondokumentformen JENSEITS des Journalismus, schon immer. Nur weil Blogs ähnlich aussehen, wie online-Zeitungen gibt es da immer Irritationen.
    Um in den Musikbereich zu wechseln: Welcher Tenor in Bayreuth wird einen Tenor vom Männergesangsverein Bürstadt-Bobstadt “Bürgersänger” nennen wollen?
    Und wie steht Shakira zu na ja, den Stickstones aus Wanne-Eickel?

    Aber wie schon der Artikel sagte, es versteht kaum einer.
    😉

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