Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Dementsprechend kommt das journalistische Fact Checking auch nicht aus einer Tradition öffentlicher Korrektur von Fehlinformationen anderer Anbieter, sondern aus der redaktionsinternen Qualitätssicherung. Zumindest im friedlichen Nachkriegsdeutschland ist man einen streitbaren, kontrovers argumentierenden Journalismus nicht gewöhnt.
Das hat sich mit “Lügenpresse”-Vorwürfen und der Verbreitung gezielter Falschmeldungen in den letzten Jahren auch nur langsam geändert. Widerspruch und Parteinahme für die belagerte Wahrheit sind aufwändig und wollen gelernt sein, bevor sie verlässlich ausgeübt werden können. Immerhin hat man sich in dieser Zeit der Tatsache besonnen, dass das Internet ein Zeitalter nicht nur der Desinformation sondern auch der Disintermediation eingeläutet hat. Und so hat man probehalber Fact Checking Departments ans Licht der Öffentlichkeit gehoben. Plötzlich wurden wie in angelsächsischen Ländern Watchblogs eingerichtet, vor einzelnen Wahlen Politikerbehauptungen auf den Prüfstand gestellt und Fact-Checking-Services für den normalen Nutzer sicht- und nutzbar gemacht.
Dauerhaft ist davon allerdings nicht viel geblieben. Fehlerkorrektur und streitbare Wahrheitsliebe mögen zwar in besorgten Abendvorträgen beliebt sein, aber sie lassen sich schwer vermarkten oder in bestehende und längst hart umkämpfte Medienbudgets integrieren. Nurmehr das verdienstvolle Korrekturportal “Mimikama” aus Österreich und der “Faktenfinder” der deutschen Tagesschau spielen noch in der Oberliga des dedizierten Fact Checkings, auch wenn der letztere Dienst unter der Leitung von Patrick Bensing bereits die eine oder andere Feder hat lassen müssen. Mit einer Wachstumsbranche haben wir es hier nicht zu tun.
Allerdings fragt sich auch, wie viel das öffentliche und buchstäbliche Besserwissen der Korrektoren wirklich zur Bereinigung des Informationsraums beiträgt. Weitgehend sicher ist, dass deren Botschaften nur relativ wenige derer erreichen, die begeistert am Tropf der digitalen Gerüchteküchen hängen. “Wer Beatrix von Storch auf Twitter folgt, wird wahrscheinlich nicht immer anschließend beim Faktenfinder nachschauen, ob das, was sie getwittert hat, auch richtig war”, spottet Alexander Sängerlaub, der sich für die Stiftung Neue Verantwortung mit Fact Checking beschäftigt hat. Doch, möchte man ihm erwidern, das kommt vor. Nur führt das im Normalfall nicht zu einer Korrektur der falschen Überzeugungen. Zum einen, weil, wer schon der Ansicht ist, dass die öffentlich-rechtlichen Medien eine von Angela Merkel und den Geheimdiensten unterhaltene Manipulationsschleuder sind, auch einem Faktenfinder der Tagesschau kein Vertrauen schenken werden.
Zum anderen, und das ist eigentlich viel wichtiger, weil es für diese Zielgruppe von Anfang an gar nicht um einen an Wahrheit und Fakten orientierten Diskurs geht, sondern um ein gänzlich anderes Sprachspiel: um eine sprachlich codierte Form des Tribalismus. Die Parteinahme für bestimmte Behauptungen und Claims ist hier das Mitgliedsticket, das Zugehörigkeit zu einer als stark empfundenen Gegenkultur sichert, ganz ähnlich, wie seinerzeit der Antisemitismus dies für die Nazis leistete.
Haben also diejenigen Recht, die die Mühen der öffentlichen Richtigstellung gleich wieder aufgegeben haben, teilweise bevor sie damit überhaupt begonnen haben? Ich denke, nein, und ich wünsche mir deutlich mehr Initiativen und Dienste wie Mimikama und den Faktenfinder. Denn die Zielgruppe für solche Dienste sind nicht diejenigen, die die Falschinformationen in die Welt setzen und für ihre politischen und psychologischen Bedarfe zu nutzen wissen. Zielgruppe sind eher die vielen Menschen, die in einem beliebigen Nebeneinander von Wahr und Falsch zunehmend die Orientierung verlieren. Niemand darf das Gefühl bekommen, dass die Wahrheit letzten Endes nicht zählt. Und wenn das bedeutet, dass wir uns der Mühe unterziehen und das Offensichtliche von Neuem beweisen: dass wahre Überzeugungen einen evolutionären Vorteil gegenüber falschen bedeuten, dass sie zu besserem, erfolgreicherem Handeln führen, dann sei es drum.
Denn letztlich sind die Zielgruppe wir alle. Desinformation darf nicht unwidersprochen im Raum stehen bleiben, denn Wahrheit ist der Lebenssaft jeder Kommunikation, auch der kontroversesten Debatte, wie sie eine Demokratie und offene Gesellschaft aushalten muss. Und dazu leistet hartnäckiges öffentliches Fact Checking einen – wenn auch kleinen – Beitrag.